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15.11.2022

Gedenkrede zum Volkstrauertag, 2022

Von Marie-Luise Bausch 2. stellvertretende Bürgermeisterin Kirchentellinsfurt

           

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger!

Es ist nicht einfach in diesem Jahr eine Rede, die für den Frieden da stehen sollte, zu halten, wo doch alles anders ist, als in den letzten Jahren, in denen wir uns glücklich und dankbar schätzen konnten, von einem Krieg in Europa verschont gewesen zu sein.

Der 24. Februar hat diesem scheinbar friedlichen Zustand in Europa ein Ende gesetzt.

Der völkerrechtswidrige, verbrecherische Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine, hat für eine Kehrtwende gesorgt und seitdem ist nichts mehr so, wie es einmal war.

Heute am Volkstrauertag gedenken wir der vielen Zig-Millionen Toten des ersten und zweiten Weltkrieges. Nicht nur Soldaten mussten ihr Leben für diese sinnlosen Kriege lassen, sondern es wurden auch sehr viele Zivilisten weltweit Opfer dieser beiden Weltkriege. Dazu kommen  6 Millionen europäische  Juden, die hunderttausende Sinti und Roma, Menschen mit Behinderungen und Menschen, die Widerstand gegen das Naziregime geleistet haben.

Sie alle wurden Opfer dieser nationalistischen völkischen Diktatur.

Wir gedenken heute aber auch an die Opfer der Kriege, die nach den 2 Weltkriegen überall auf der Welt stattfanden. Nicht wenige davon waren völkerrechtswidrig. Darunter waren auch Kriege, die von der USA oder Russland begonnen wurden. Ich möchte da stellvertretend für diese völkerrechtswidrigen Kriege, auch an den Irakkrieg erinnern, dem über eine Millionen Menschen zum Opfer fielen.

Ich denke an Kriege, wie den Syrienkrieg und der Krieg in Jemen, sie sind wohl für uns zu weit entfernt, dass man sich für Frieden in diesen Ländern einsetzt. Die Weltgemeinschaft scheint sich in diesen Regionen nicht für eine friedliche Lösung zu interessieren. Ganz im Gegenteil. Haben wir aus Deutschland nicht erst vor kurzem an Saudi Arabien Waffen geliefert, die im Jemenkrieg eingesetzt werden, in dem Saudi Arabien verwickelt ist?

Ich denke auch an den 20 Jahre andauernden Afghanistan-Krieg. Es sind so viele Menschen aus der Zivilbevölkerung und auch Soldaten gestorben und am Ende ist alles andere, als das ursprüngliches Ziel erreicht worden. Das Land wird jetzt wieder von den Taliban beherrscht. Man kann eben nicht einfach eine Demokratie kriegerisch in ein Land implantieren.

Oder, was ist mit Äthiopien? In den letzten 2 Jahren sind dort mehr als eine halbe Millionen Menschen durch Kampfhandlungen ums Leben gekommen.  Allein in den letzten 2 Monaten starben 100 000 Zivilisten und Soldaten. Aus persönlichen Quellen weiß ich, dass Eritrea in diesem blutigen Bürgerkrieg auch eine große Rolle spielt. Es werden sämtliche Männer von jung bis alt aus ihren Familien gerissen  und nach Äthiopien in den Kampf gegen die Menschen in Tigray gesandt.

Seit gut einer Woche gibt es dort einen, von der afrikanischen Union initiierten, Waffenstillstand. Wir hoffen doch sehr, dass er Bestand hält und jetzt die Friedensverhandlungen für ein Ende des Krieges stattfinden werden und eine Lösung für ein friedvolles Zusammenleben erarbeitet wird.

Nicht weit von uns, in der Ukraine, sterben täglich Menschen, junge Männer, auch ältere Männer, die ihr Leben für die Verteidigung ihres Landes, das von Russland brutal angegriffen wurde, einsetzen. Auch auf der anderen Seite verlieren unglaublich viele Soldaten aus Russland ihr Leben in diesem Krieg, der immer mehr zu eskalieren scheint. Es sterben Frauen, Kinder und alte Menschen unter den Bomben, die auf die Städte und Infrastruktur herunter hageln. Es finden Vergewaltigungen und Folter statt.

Krieg ist  zerstörerisch, nimmt keine Rücksicht auf die zivile Bevölkerung.

Ungefähr 7 Millionen Menschen sind bis jetzt aus der Ukraine vor diesem Angriffskrieg geflohen und e werden bestimmt in diesem Winter noch mehr.

Es sollte immer oberstes Ziel sein, diesen krigerischen mörderischen Zustand zu beenden.

Natürlich haben die Ukrainer Recht auf Verteidigung. Sie sind völkerrechtswidrig angegriffen worden und im Artikel 51 der UN-Charta ist diese Verteidigung rechtlich verankert.

Es ist auch ganz klar, dass wir in Europa diesem angegriffenen Land helfend zur Seite stehen müssen, das steht außer Frage.

Aber ich möchte auch daran erinnern, dass Kriege nicht einfach so ausbrechen, sie fallen nicht vom Himmel, sondern sie werden von Verbrechern verbrochen, von Menschen begonnen und müssen auch von Menschen beendet werden.

Neben allen Hilfeleistungen für die Ukraine, dürfen wir die diplomatische Lösung dieses Konfliktes nicht aus den Augen verlieren. Wenn wir nur noch über die kriegerische Lösung dieses Krieges reden und auch so handeln, dann haben wir verloren. Es droht ein jahrelanger Krieg, an dem am Ende nur alle Seiten verlieren können.

Dieser Krieg vernichtet lebensnotwendige Ressourcen, zerstört wertvolle Infrastruktur, macht Städte platt und tötet Väter, Söhne, Mütter und Kinder.

Auch wenn es momentan aussichtslos scheint, müssen wir alles daran setzen, dieses Gemetzel zu beenden.

Die Politik sollte zurück an den Verhandlungstisch. Es macht traurig, dass nur über Waffenlieferungen und dem Liefern von schweren Geschütz, dabei aber nicht mehr über die diplomatischen Möglichkeiten, geredet wird. Oder gar, wie könnte eine Nachkriegslösung mit Russland aussehen?

Es kommen auch Fragen auf, wie die, haben die Friedensbemühungen, hat gar die Friedensbewegung versagt? All die Friedensforschungen und die Friedensabkommen, war das alles umsonst?

Nein, das möchte ich so nicht stehen lassen, auch wenn es im Moment so scheint, dass die Befürwortung den Krieg in der Ukraine militärisch zu lösen, das politische Meinungsbild beherrscht.

Die jahrzehntelangen  Bemühungen nach dem 2. Weltkrieg um eine friedliche Koexistenz unter den Staaten, haben doch einige  Abkommen bewirkt.

Hätten wir ein Europa, wie jetzt, wenn sich die europäischen Staaten nicht nach dem 2. Weltkrieg aufeinander zubewegt und schon bald ein einiges Europa gemeinsam aufgebaut haben?

Ebenso haben wir den weltweiten Atomwaffenverbotsvertrag, den 123 Länder seit 2017 unterschrieben haben. Leider Deutschland und die 9 Atomstaaten noch nicht. Daran müssen wir arbeiten, denn es war auch möglich, weltweit die BIO- und Chemiewaffen abzuschaffen, da sollte es auch möglich sein, die schärfste alle Waffen, die Atomwaffen, abzuschaffen.

 Immerhin gründete sich durch die Initiative des Oberbürgermeisters aus Hiroshima  eine Organisation: „Bürgermeister für den Frieden“ der sich bislang  8031 Bürgermeister:innen auf der ganzen Welt angeschlossen haben. Sie plädieren für eine Welt ohne Atomwaffen. Oder die 1980 gegründete IPPNW, das ist ein internationaler  Zusammenschluss von Ärzten, die sich gegen eine Bedrohung durch Nuklearwaffen einsetzen.

Wir haben die Einrichtung eines internationalen Strafgerichtshof in Den Hag.

Wir haben ein Verbot von Personenminen.

Man denkt an die Ratifizierung des internationalen Menschenrechtsabkommens, 1948 durch die Vereinten Nationen.

Wir sehen, dass sich sehr viel getan hat.

Und wir sollten erkennen, dass wir bei einem bestehenden  Krieg,  nie das Ende und das Danach eines Konfliktes aus den Augen verlieren dürfen.

Klar ist aber auch, dass wir hier in Kirchentellinsfurt  nicht viel an den politischen Entscheidungen ändern können.

Was wir aber hier vor Ort machen können und das sollten wir mit voller Solidarität und Empathie:  die Menschen, die vor diesem Krieg in der Ukraine und auch vor anderen Kriegen flüchten müssen, gleichermaßen Willkommen heißen und ihnen Schutz und Geborgenheit in unserer Kommune bieten. Die Bürger:innen, die Kirchen die Gemeindeverwaltung  hier in unserem Ort, arbeiten voller Inbrunst und Bereitschaft daran, den Geflohenen eine würdevolle Unterbringung und ein normales Leben zu ermöglichen. Die Traumatisierungen, mit denen die Geflohenen umgehen müssen, sind schon schlimm genug, als dass man ihnen den Aufenthalt hier erschweren sollte.

Wir dürfen nicht vergessen, Menschen verlassen nicht einfach so ihr Land, ihr Haus und ihre Heimat. Sie flüchten, weil sie um ihr Leben und das Leben ihrer Familie bangen und auch, weil sie in Ihrem Land keine Lebensperspektiven mehr haben. Solange wir hier in Sicherheit und in einem einigermaßen hohen Wohlstand leben, sollten wir unsere Türen öffnen und den Menschen einen würdigen Aufenthalt ermöglichen. Die meisten Menschen freuen sich nach Beendigung eines Krieges wieder in ihr Land, wenn es sicher ist, zurückkehren zu können.

 

In diesem Zusammenhang möchte ich auf den Geleitspruch der diesjährigen Friedensdekade hinweisen:

Zusammen:Halt

Dazu hat Claudia Kuchenbauer  Gedanken aufgeschrieben, die ich Ihnen gerne vortragen möchte:

Da stehen wir jetzt.

Zerfetzt.

Fragmentiert.

Stückwerk.

Aber: bunt.

Verbunden.

Hauptsache, das innere Kind lacht.

„I have a dream“ ist in unser Kleid eingewoben.

Wir umarmen uns, wir halten uns an den Händen.

So stellen wir uns hin.

Und:

Wir halten zusammen.

Wir machen Halt

Wir sagen zusammen: Halt!

Und das Kind lacht den Fremden an,

den jenseits der Grenze unseres Halts:

„ Komm doch rüber!“

 

Ich möchte jetzt meine Rede zum Volkstrauertag beenden, in dem ich meine Hoffnung aussprechen möchte, dass ich an ein friedliches und friedvolles Zusammenleben fest glaube. Und ich denke jeder einzelne von uns kann Vieles dazu beitragen. Wir können aufeinander zugehen, vergeben und versuchen miteinander klarzukommen. So, wie hier im Kleinen, so sollte es auch unter verfeindeten Staaten möglich sein.

In diesem Sinne möchte ich noch auf ein internationales Friedens-Fest, das von den Kirchen, der Schule, Arbeitskreis Kultur im Schloss und der bürgerlichen Gemeinde veranstaltet wird, hinweisen.

Dieses Fest versteht sich als ein Hoffnungszeichen für ein Leben ohne Krieg und Gewalt.

Es beginnt heute um 15:00 Uhr in der Richard Wolf Halle und alle Bürger:innen sind herzlich eingeladen. Das Motto ist:

BUNTKLANG, miteinander leben und gemeinsam feiern.

Es werden Kinder aus der Grundschule etwas aufführen, ein ukrainischer Frauenchor und eine internationale Band auftreten. Wir werden von internationalen Speisen kosten können und dazu gibt es fairgehandelte Säfte, Tee und Kaffee.

Ich möchte mich bei Ihnen/Euch allen bedanken!

Marie-Luise Bausch