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21.11.2020

Rede zum Volkstrauertag 2020

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger in Kirchentellinsfurt,

in diesem Jahr ist alles anders, so auch die Gedenkfeier zum Volkstrauertag, die Corona bedingt, nicht so stattfinden kann, wie wir sie bisher kannten. Wie überall auf der Welt, befinden wir uns im Kampf gegen das Corona-Virus. Die 2. Welle überrollt uns mit Wucht und wir versuchen sie mit einem Lockdown zu brechen. Dafür müssen wir Kontakte nach Möglichkeit vermeiden, um  das Infektionsgeschehen einzudämmen. So beschränken wir uns auf unserer Gedenkfeier auf das Niederlegen des Kranzes für die gefallenen Soldaten des 1. und 2. Weltkrieges und das auch ohne den Posaunenchor oder Bläsern des Musikvereins.

Der Volkstrauertag ist ein stiller Gedenktag, der in die 2-wöchige Friedensdekade im November fällt. Durch die Trauer um die gefallenen, hingerichteten und gefolterten Opfer der beiden Weltkriege, in der fast jede Familie Angehörige verloren hat, soll uns bewusst werden, wie wichtig es ist, aus der Vergangenheit für die  Zukunft zu lernen und dabei Frieden, Demokratie und Menschenrechte zu stärken. Bei unseren Gedenkfeiern hatte der Beitrag der Schülerinnen und Schüler der Graf-Eberhard-Schule immer einen festen Platz. Diese wichtige Auseinandersetzung der jüngeren Generation mit dem Thema: Krieg, und Frieden, Gerechtigkeit und Menschrechte, kann so in diesem Jahr nicht stattfinden. Genauso müssen wir auf die Liedbeiträge verzichten, die jedes Jahr im Wechsel vom Liederkranz und dem Chor Choropax  vorgetragen werden.

Dieser Volkstrauertag soll uns an die fast 10 Millionen gefallenen Soldaten des 1. Weltkrieges und den 60-70 Millionen Toten des 2. Weltkrieges erinnern. Dazu kommen die 6 Millionen europäische Juden, die dem Holocaust des rassistischen Nationalsozialismus zum Opfer fielen. Ebenso wurden  hunderttausende Roma, Sinti und Menschen mit Behinderungen und viele Widerstandskämpferinnen und -kämpfer, die gegen das Naziregime gekämpft haben, getötet. Man kann sich das gar nicht vorstellen, es ist unfassbar, was damals im sogenannten 3. Reich passiert ist. Hinter jeder Zahl steht unendliches Leid, in fast in jeder Familie gibt es Opfer zu beklagen. Die Traumatisierungen gehen bis in dritte Generationen.

Nach 2 Weltkriegen sind wir in Europa und auf der Welt zusammengewachsen. Durch viele Friedensabkommen und internationale Verträge können wir in unseren Regionen auf eine langangehaltene Friedenszeit blicken. Das kann uns mit einem guten sicheren Gefühl beflügeln. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass es in vielen Regionen der Welt, auch zur Zeit, einige Kriege mit sehr vielen Toten gibt. Viele Überlebende  flüchten aus den Krisenregionen, aus Sicherheitsgründen oder weil es keine Perspektiven in ihren kriegsgebeutelten Ländern  mehr gibt. Wir müssen uns einfach mal vorstellen, dass es zur Zeit etwa 70 Millionen Flüchtlinge weltweit gibt. Davon kommen die wenigsten zu uns nach Europa. Rund 90 % der Geflüchteten werden von den armen Ländern des Südens aufgenommen. Wir sollten uns bewusst machen, dass auch wir in unserem reichen und sicheren Land, zwar nicht alles Leid der Welt retten können, aber kein Recht haben, uns aus der Verantwortung zu stehlen. Dazu gehört auch, dass wir uns in Europa nicht völlig abschotten und bereit sein sollten,  wenigsten den Flüchtlingen zu helfen, die jetzt in unsagbar unwürdigen Lagern auf den griechischen Inseln untergebracht sind. Morea  auf Lesbos ist ein Beispiel dafür, wie es auf keinen Fall sein darf. Es gibt viele Städte und Gemeinden in Europa, die bereit wären, Flüchtlinge von den griechischen Inseln aufzunehmen. Aber da können die verantwortlichen Politiker sich nicht einigen. Währenddessen verschlimmert sich die Situation in den Lagern. Das ist beschämend für unser Europa, denn wir lassen damit ja auch unsere südlichen europäischen Länder mit dieser Aufgabe allein.

Wir befinden uns in einem relativ reichen und sicheren Land, aber unser Wohlstand kommt zum Teil  auch daher, dass wir Waren, Lebensmittel und Rohstoffe billig aus sogenannten „Dritteweltländern“ beziehen. Die Löhne dort sind viel zu niedrig. Wir lassen Kleidung viel zu billig in asiatischen oder anderen Ländern der 3. Welt nähen. Die Näherinnen und Näher bekommen Löhne von denen sie nicht leben können. Außerdem sind die Lieferketten für viele Produkte nicht sicher zurück verfolgbar und Kinderarbeit ist an der Tagesordnung. Das muss sich ändern, wenn wir dafür sorgen wollen, dass die Menschen in den Ländern auch bleiben wollen und würdevoll von ihrem Lohn leben können. Kinder sollten in die Schulen gehen können, anstatt für den Lebensunterhalt der Familien sorgen zu müssen.

Diese ungerechte Seite des Welthandels ist kein Naturgesetz. Wir könnten schon dafür sorgen, mehr Gerechtigkeit in den Handel zu bringen und damit einen Beitrag gegen Fluchtursachen leisten.  Fair-Trade ist eine Antwort darauf und ich freue mich, dass wir hier in Kirchentellinsfurt auf dem Weg sind, eine Fair-Trade-Gemeinde zu werden.

Die Kriege, die weltweit stattfinden, können wir schwer beeinflussen oder beenden, aber  wir müssen sie nicht auch noch mit mehr Waffen ausstatten. Die weltweite Waffenproduktion und der weltweite Waffenhandel hatte im Jahr 2019  seinen absoluten Höhepunkt erreicht. Weltweit stiegen die Militärausgaben auf 1,9 Billionen US-Dollar. Das entspricht eine Steigerung von über 3 Prozent zum Vorjahr. Zum Vergleich, die Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen (WHO) hat ein Jahresbudget von gerade mal 2,2 Milliarden Dollar. Was könnten wir für wertvolle Arbeit leisten, auch in den ärmeren Regionen der Welt, gerade jetzt  in diesen Coronazeiten, wenn die WHO nur einen Teil der sinnlosen Militärausgaben für medizinische notwendige Forschung und Arbeit zur Verfügung hätte.

Wenn wir uns für mehr Frieden auf dieser Welt einsetzen wollen, dann sollten wir dafür sorgen, dass dem  Riesengeschäft mit der Rüstung endlich Einhalt geboten wird. Schauen die verantwortlichen Politiker wirklich genau hin, in was für Länder die Rüstungsartikel  exportiert werden?  Man hat das Gefühl, dass die Rüstungsindustrie da ziemlich freien Lauf hat. Auch müssen sich die Politiker wieder für Abrüstungsverträge stark machen, anstatt diese aufzukündigen, wie es Präsident Trump in seiner 4-jährigen Amtszeit gezielt vorangetrieben hat. Sein Nachfolger Biden wird da viel zu tun haben, um die USA in die internationale Gemeinschaft zurück zu führen.

Aber auch wir als Europäer sollten viel selbstbewusster und eigenständiger agieren. Diplomatie und aufeinander zugehen, ist das Gebot der Stunde. Wir alle sind gefragt und haben doch auch in unserer Demokratie die Möglichkeit,  durch freie Wahlen auf die Parteien einzuwirken. Wir sollten uns die Parteiprogramme sehr genau anschauen. Und Parteien, die in ihrem Gedankengut, Hass, Gewalt, Rassismus und Antisemitismus zulassen, sollten bei uns keine Chance haben.

Frieden beginnt in unseren Köpfen. Miteinander für ein friedvolles, sozialeres und gerechteres Zusammenleben bei uns, aber auch auf der ganzen Welt zu sorgen, dazu ermahnt uns der Volkstrauertag.

In diesem Sinne wünsche ich allen Mitbürgerinnen und Mitbürgern alles Gute, Zuversicht und natürlich Gesundheit. Gehen wir alle respektvoll und umsichtig miteinander um und helfen uns gegenseitig durch diese schwierige Zeit. Lassen wir niemanden zurück und denken auch an die, die es besonders schwer haben.

Ihre

Marie-Luise Bausch